Perspektivwechsel: Warum ich die Welt einmal am Tag auf den Kopf stelle

Als ich mit Yoga anfing, setzte ich mir immer wieder neue Ziele. Die Beine ohne Erhöhung und Schmerz zum Schneidersitz verknoten, damit fing es an. Danach waren es die Fersen, die im herabschauenden Hund den Boden berühren sollten, gefolgt von den gestreckten Beinen in der Vorbeuge und den schwebenden Beinen in der Krähe. Als das alles funktionierte, ging es an meine persönliche Königsdisziplin: Der Stand auf dem Kopf. 

Die Schultern und Arme waren an sich schon gut gestärkt. Der Kopf machte noch Probleme. Er hatte Angst umzufallen, also Befahl er den Beinen: „Verlasst ja nicht den Boden.“ Sie waren wie angeklebt und das war nervig. An irgendeinem grauen Wintertag (mehr kann ich von diesem Tag nicht erinnern), machte ich einen erneuten Versuch. Ich ging ganz penibel nach Plan vor, wie es meine Yoga-Lehrerin immer ansagt: „Wir sitzen im Fersensitz, die Hände fassen die gegenüberliegenden Ellenbogen und bilden eine Armschaukel. Wir legen die Unterarme auf der Matte ab, lösen die Hände, verschränken sie ineinander und legen unseren Kopf hinein. Wir strecken die Beine, laufen mit den Füßen so nah wie möglich an den Kopf heran, heben erst das eine, dann das andere Bein.“ – Ich stand! Auf dem Kopf!

Und als ich da so stand mit den Beinen in der Luft und voll Freude, es endlich geschafft zu haben, sah ich unter dem Sofa einen länglichen Gegenstand: Mein Lieblingskugelschreiber. Ich schreibe oft auf dem Sofa und weil ich nicht so sehr viel von Tischen halte (Ihre einzige Funktion ist die Ablage, dass kann der Boden auch und zusätzlich kann man auf ihm laufen, tanzen, sitzen, rollen …), lege ich Papier und Schreibzeug, wenn ich fertig bin, einfach auf den Boden. Mein Kugelschreiber muss unter das Sofa gerollt sein. Ich hatte ihn schon überall gesucht, bin aber nicht auf die Idee gekommen, unterm Sofa zu schauen.

„Das ist es.“, dachte ich, „Viele Lösungsansätze bleiben verborgen, weil man die Perspektive nicht ändert.“ Die Natur hat uns absolut energieeffizient gestaltet. Wir sollen nicht direkt umfallen, wenn es mal weniger zu essen gibt. Was eine lange Zeit äußert hilfreich war, macht es uns heute manchmal schwer. Unser Hirn nutzt lieber die Pfade, die schon freigetrampelt sind, anstatt mühsam neue anzulegen. Wir müssen es immer wieder antreiben, wenn wir neue Wege wollen. Deshalb stelle ich die Welt jeden Morgen einmal auf den Kopf. Es soll mich daran erinnern, neue Blickwinkel im Alltag zu suchen und auszuprobieren.

– Und natürlich, weil ich’s jetzt kann. 😉

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