Neulich traf ich Max in der Stadt. Eine Bekanntschaft, die zwischen Welle drei und vier auftauchte. Wir trafen uns unter Auflagen bei einem Konzert. Bin ich allein unterwegs, fallen mir andere Solist*innen sofort auf. Glücklicherweise sind sie überall, wenn man sie sehen möchte. Diese Entdeckung hat mir ein Stück Freiheit geschenkt. Lange Zeit habe ich mir Ausflüge nur in Begleitung erlaubt. Ich dachte, allein würde man mitleidig angeschaut. Spoiler alert: Interessiert echt niemanden. Wie ich sind sie mit sich beschäftigt. Trotz Ein-Platz-Abstand zwischen uns, kamen wir ins Gespräch. Seitdem geben wir uns etwa monatlich digitale Lebenszeichen – ich bevorzugt in Buchstaben, Max bevorzugt in Lauten.
Es war ein sonniger Tag und Max versteckte die Zeichen von Zu-wenig-Schlaf hinter einer Sonnenbrille. Er ist einer dieser Menschen, die alle kennen und immer irgendwie beschäftigt sind. Unkompliziert und redselig: Man kann aus dem Stand zwei Stunden ohne jede Anstrengung Worte mit ihm tauschen. „Hey, so ein Zufall. Wie geht’s?“, rief Max mir entgegen. „Ich war gerade im Buchladen und hab mir Stoff fürs Wochenende besorgt. Sonst gibt’s nichts Neues. Bei dir?“ „Ich will gerade einen Kaffee trinken gehen. Leistest du mir Gesellschaft?“ Da auf dem sorgsam zusammengefalteten Zettel, der sich in meiner Jackentasche befand, nur noch die Worte „Waschen“ und „Saugen“ auf einen Anstrich warteten, willigte ich ein. Als ich neben Max in dem gemütlichen Café saß, den Duft von Gebackenem und gemahlenen Bohnen in der Nase, wurde mir erneut bewusst, warum ich als naturverbundene Intro in der Stadt lebe: Sie lenkt so schön von den „häuslichen Pflichten“ ab, vielmehr zeigt mir, dass es für eine Frau nur eine Pflicht gibt – die des eigenen Wohlbefindens.
Wir plauderten und lachten und kamen irgendwann zum Thema Job. (Langweilig, ich weiß.) Max hat wie ich einen klassischen Bürojob. (Noch langweiliger, schon klar.) „Ich bin so froh, dass ich immer noch im Homeoffice arbeiten kann“, erklärte er mir. „Ich weiß nicht. Ich bin schon froh wieder ab und an im Büro zu sein“, widersprach ich ihm. „Bei uns gab es vor ein paar Wochen Diskussionen, weil einige Kolleg*innen sich isoliert fühlen. Es ist doch armselig, wenn dein Sozialleben von der Arbeit abhängt.“ Ich blieb still. Diese Aussage erhielt volle Aufmerksamkeit von meinem Hirn. „Ich geh mal ums Eck, bin gleich wieder da“, unterbrach Max die Stille. Gedankenversunken murmelte ich ein: „Okay.“
Als er zurück war, legte ich los: „Aber die Arbeit ist doch unweigerlich ein Teil des Soziallebens“, ohne Umschweife direkt auf den Punkt. „Man verbringt mindestens sechs bis acht Stunden am Tag damit. Das ist ein Drittel des Tages. Wenn man den Schlaf rausrechnet sogar die Hälfte. Selbst wenn man einen großen Freundeskreis hat und Familie, ist man in dieser Zeit im Homeoffice allein.“ Max schaute mich etwas verwundert an. So ein Plädoyer hatte er wohl nicht erwartet. „Ja. Dann kann ich mich besser auf meine Arbeit konzentrieren“, sagte er. „Also mir bietet das Zusammentreffen mit Arbeitskolleg*innen Impulse außerhalb der Alltagsbubble und das finde ich wertvoll.“ Max blieb still. Jetzt hatte ich ihn wohl zum Nachdenken gebracht. „Mag sein, aber für mich ist das Homeoffice praktisch. Ich fühle mich wohl damit.“ – Thema durch. „So jetzt muss ich aber. Ich lade dich ein. Wo musst du lang? Können wir noch ein Stück gemeinsam gehen?“ „Danke Max, ich bleib noch eine paar Minuten sitzen. War schön mal wieder zu quatschen.“
Als Max weg war, merkte ich, dass mich seine Aussage getroffen hatte. Ich fühlte mich ertappt. Meine verteidigenden Worte waren nicht selbstlos, sondern sehr persönlich. Ich hatte ein ungutes Gefühl. Scham denke ich. War ich nicht dieser armselige Mensch mit dem mangelnden Sozialleben, von dem Max da sprach? Und: War ich es nicht selbst schuld? Ich schob den Gedanken beiseite. Man soll seinen Gefühlen nicht immer glauben, habe ich neulich gelesen. Aber mein Kopf gab noch nicht auf. Als ich das Café verlies und den Heimweg antrat, zogen meine Gedanken weiter Kreise der Rechtfertigung: „Zugegeben, jeden Morgen in einen stickigen, eintönigen Bürokomplex zu pilgern und dort den immer gleichen Platz in einem geometrisch angeordneten Haufen konformer Plätze einzunehmen, ist sehr Neunziger und ein Konzept, dass in der modernen Arbeitswelt ausgedient hat. Aber den Alltag auf 2-4 Räume beschränken, vor einem Bildschirm sitzen, stehen oder turnen, über Kamera und Kopfhörer mit der Außenwelt verbunden, Arbeit und Privatleben nur getrennt von einmal Durchlüften. Ist das ein gutes, ein fortschrittliches Konzept? Wollen wir das wirklich durchziehen?“