Wir denken groß und vergessen das Kleine

Es ist einer dieser nasskalten Tage, an dem die Sonne sich bedeckt hält. Einer dieser Tage, die dem November Charakter geben und dafür sorgen, dass Nordeuropäer*innen die Flüge gen Süden füllen. Ich wäre gerade gern eine von ihnen. Doch diesmal werde ich das Jahresende in meiner Stadt verbringen. Ich muss also alternative Fluchtwege suchen.

Auf dem Weg zum Buchladen laufe ich durch die Altstadt, die bereits erste Anzeichen von Weihnachten zeigt. Etwas früh für mein Gefühl. Gerade früh genug für unser Wirtschaftssystem. In den Schaufenstern macht sich Gemütlichkeit breit; zeigt sich, was wir jetzt brauchen: Herzlichkeit, Wärme, Gemeinschaft – Werte einer besinnlichen Zeit verpackt in konsumierbare Stücke. 

Ein warmer Luftstrom begrüßt mich, als ich durch die Schiebetür trete. Ich durchstreife die Regale auf der Suche nach der Geschichte, die mich aus dem grauen November bringt. Als ich sie gefunden habe, gehe ich zur Kasse. Vor mir steht ein Mädchen, ich schätze sie ist ungefähr zehn Jahre alt. Ihre Mama steht etwas abseits neben ihr. In der Hand hält sie einen Zettel. 

Als sie an der Reihe ist, übergibt sie den Zettel der Kassiererin, die ihn wortlos annimmt, sich wegdreht und die Infos mit den Fingern an den Computer übergibt. Dann blickt sie auf. 

»In drei Tagen kannst du die Bücher abholen.«
»Donnerstag?«
»Ja am Donnerstag.

Dann zeigt das Mädchen auf eine Position auf dem Zettel.

»Wo gibt das?«
»Das kannst du bei McPapper oder Rossmann holen.«
»Gibt das in Rieth?«
»Das weiß ich nicht, da wohn ich nicht.«

Das Mädchen nimmt ihren Zettel in die eine, ihre Mama an die andere Hand und geht. Dann bin ich an der Reihe. Ich trete an die Theke. Vor der Kassiererin steht eine kleine mit Scheinen und Münzen gefüllte Box:

„Helfen Sie Kindern in Not.“

Wir denken groß und vergessen das Kleine. Die Rechnung geht nicht auf. Wollen wir Großes erreichen, müssen wir Kleines bedenken. Denn die Summe aus klein ergibt groß.

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