Will ich’s oder will ich’s nicht?

Will ich’s oder will ich’s nicht?
Muss ich mich entscheiden?
Sag ich’s oder sag ich’s nicht?
Darf ich einfach schweigen?
Wähle ich, was sie hören wollen?
Stelle ich mich dagegen?
Ist eine Behauptung zum Schutz als verlogen auszulegen?
Wenn ich Zweifel äußere, hört ihr mir dann zu?
Könnte ich mehr versuchen?
Bereue ich, wenn ich’s nicht tu?
Hat das ganze Denken einen Sinn?
Ist es für mich einfach nicht drin?
– Bin ich eine Versagerin?


„Wünschen Sie sich ein Kind? Dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt“, sagte die Frau mit grauem Haar und weißem Kittel völlig unvermittelt und in einem Atemzug, als ich von ihrem Stuhl gestiegen war und meine Hose wieder trug.

Oh wow, das war mir gar nicht bewusst. Danke, dass Sie mich erinnern. Und nun? Jetzt muss ich echt etwas tun!

Aber ich meine, ich bin 36 Jahre alt, wie soll ich denn daran denken? Ich bin umgeben von Dingen, die mich ablenken.

In der Familie wird einfach nie darüber gesprochen. Alle hoffen, dass man es nicht thematisiert. Viel zu intim, da wollen alle nur fliehen.

Auch Freundinnen und Kolleginnen reden nie über Kinder. Es ist akzeptiert mehr oder minder. In den sozialen Medien keine Spur und dort spielt das wahre Leben pur.

Das Hetero-Paar mit Kind, muss man gestehen, bildet die Lebensrealität des Durchschnittsbürgers nicht ab. Deshalb wollen es viele auch nicht sehen, nichts davon wissen, stecken ihren Kopf lieber unter Kissen, hören nicht hin, arbeiten erst an sich und suchen ihren Lebenssinn.

Aber nicht mit mir. Ich nehme mein Schicksal jetzt in die Hand. Mit einem Drink lehne ich an der Wand im Club. Schaue mir gespannt und entschieden tolerant meine Optionen an.

Von der Pille bin ich runter, meine Gebärmutter ist munter. Also nichts wie ran. Ich denke: Wer gut tanzen kann … wobei, der Akt ist eigentlich egal. Was zählt sind Spermien und Sekret von hoher Qualität.

Und dann treffe ich Max. Wir reden, lachen, die Hemmungen sind low, also verschwinden wir nach ein paar mehr Drinks auf dem Klo. 

Das Thema Verhütung spricht er gar nicht erst an. Wir kommen direkt zur Sache. Irgendwie hatte ich gehofft, dass er mich noch nach Hause bringt, doch ich lache, als er sagt: „Wir ziehen noch weiter, hast ja meine Nummer, also lass mal was hören.“ Ich weiß nicht, sollte mich das stören?

In den nächsten Wochen treffen wir uns locker. Es macht Spaß, doch viel reden wir nicht. Wenn Zeit wäre, ruft die Pflicht. Dann muss er arbeiten, ein Freund braucht Hilfe ganz akut, der Oma, der geht’s ganz plötzlich nicht gut.

So konnte ich ihm nichts erzählen von meinem Verdacht. Ich bin überfällig Tag acht.

Die letzte Nachricht vor zwei Wochen. Ich hatte geschrieben: „Es ist etwas geschehen.“ Er hats wohl übersehen.

Also rufe ich ihn an, in der Hand ein Stäbchen mit zwei Strichen, aufgeregt, etwas ausgeblichen – die Übelkeit setzt mir zu. Es klingelt, er hebt ab: Juhu.

„Hallo Max, wie geht’s?“ „Ganz gut, was los?“ „Du ich habe grad einen Test gemacht, er hat oben und unten einen Strich.“ „Kein Ding, gegen Corona bin ich geimpft vorbildlich.“

„Hm, nicht Corona, Schwangerschaft.“ Stille. Zaghaft frag ich: „Max?“ Hat der etwa aufgelegt? Erregt wähle ich die Nummer erneut. Kein Erfolg. Ich gebe auf, bin total deprimiert. Am Abend dann über WhatsApp probiert, ihn zu erreichen. Nachrichten gehen nicht mehr raus. Blockiert.

Ich weine und weine, werde immer runder. Dann bin ich eben allein, na und? Dafür bin ich gesund und habe bald mein Kind!

Doch ich höre sie, sie klingen wie Chöre. Die von gegenüber, die hat einen Braten in der Röhre. Der Typ ist ihr abgehauen, jetzt muss sie wohl auf die Familie bauen.

Ich blende sie aus, höre nicht hin. Doch der Pfeil steckt drin in meinem Herz und es schmerzt. Aber ich lasse mich nicht unterkriegen und stopfe ihre Mäuler, denn ich nenne meinen Braten einfach Broiler.

Broiler und ich, wir kommen gut zurecht. Was mich jedoch stresst, sind die Behörden. Sie wollen regeln, klären, Ordnung schaffen. Doch sie empören mich mit ihren Vorschriften. 

Ja, ich brauche Unterstützung finanziell, aber gibt es das nicht auch in schnell? Ich versorge einen Säugling allein und sobald er schläft, ziehe ich mir Behördendeutsch rein. Ich könnte schreien!

Wochen, Monate wird immer das gleiche gefragt. Anhörungen, Termine werden einfach vertagt, weil er sich querstellt, der Vater. Umgangsrecht? Muss nicht sein. Zahlen? Sieht er gar nicht ein.

So schlage ich mich durch den Behördendschungel. Ich hätte mich viel lieber allein auf Broiler konzentriert, wie im Tunnel.

Nach unzähligem Mahnen ist es geklärt, der Vater wird zahlen. Kontakt will er nicht. Was ich sage auf die Frage: „Wo ist eigentlich Papa? Hat der mich nicht lieb?“ Weiß ich noch nicht.

Vielleicht erzähle ich, er ist ein Dieb, muss sein ganzes Leben hinter Gitter oder dass er erfasst wurde beim Joggen von einem Gewitter.

Vielleicht bin ich einfach ehrlich und sage: „Deine Mama hat überreagiert auf die Frage einer fremden Frau mit Sprechzeiten. Sie wusste es nicht besser und ließ sich verleiten.“


Will ich’s oder will ich’s nicht?
Nicht jeder Wunsch kann sich erfüllen!
Möchte ich zu meiner Verteidigung brüllen. – Ich sage nichts.
Der Gedanke des Verzichts verletzt. Diese Erfahrung werde ich vielleicht nicht machen.
Und trotzdem will ich lachen, Ruhe finden, der Zeit nicht hinterher sprinten, völlig abgehetzt.
Das Verfahren wird vorerst ausgesetzt.
Weil ich die fehlende Größe für deine Formel nicht find, bleibst du ein traumhaftes Gespinst,
mein Kind.
Abwesend, doch du grinst, während ich meinen Weg auslote in Slow-Mo, weil ich’s einfach nicht schneller schaffe und weil:
Freedom comes when you learn to let go.

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