Und: Stillgestanden!

„Sobald wir zum Stehen kommen, beginnen wir zu kuppeln. Bitte beachten Sie, dass die Türen sich erst nach dem erfolgreichen Kuppelvorgang öffnen lassen.“ 

„Diese Bahnphilosophie lässt sich ganz gut aufs Leben übertragen“, dachte ich, als ich im ICE nach Leipzig saß. Ich sitze ziemlich oft in diesem Zug. Mindestens alle zwei Wochen und genauso oft höre ich diese Ansage, die wie ein Mantra das Ende der Fahrt einleitet. Denn in Leipzig verbindet sich mein Zug mit einem weiteren und gemeinsam reisen sie über Berlin nach Hamburg. Für diese Verbindung brauchen sie einen Moment Stillstand, um sich dann vorsichtig anzunähern und sich schließlich unter Freisetzung neuer Energie fest zu verbinden. Der Stillstand ist dabei entscheidend. Denn würde ein Zug auf den anderen fahren, würde die ungezügelte Energie einen Abstoß erzeugen.

Jetzt ist Stillstand nur leider echt nicht so angenehm. Egal ob im Zug, in einer Unterhaltung oder beim Streaming, man denkt: „Bitte lieber Gott, lass es einfach weitergehen!“ Der Kopf springt an und sucht nach einem Ausweg. Einfach zurücklehnen und aushalten? 

Ein plötzlicher Internetausfall, die Lieblingsserie stoppt: „Na dann warten wir mal bis es weitergeht und genießen die Stille.“
Zwei Menschen sitzen sich gegenüber, schauen sich an: „Ach wie schön diese Stille, ich genieß mal ein bisschen.“

Nicht denkbar. 

In meinem Leben wird es gerade ruhiger. Ich wohne seit fast drei Jahren an einem Ort und bin nach einem Jahr im neuen Job gut eingearbeitet. Mein Kopf nutzt die freigewordenen Ressourcen, spielt 1, 2 oder 3 und fragt mich, ob ich wirklich richtig stehe. Dann zeigt er mir schöne andere Positionen und ich merke, wie blinder Aktionismus in mir aufsteigt. Diese Situation erlebe ich so nicht zum ersten Mal. Die letzten vier Jahre lassen sich für mich in etwa so zusammenfassen: Neuer Job, neue Wohnung, neue Stadt, neue Wohnung, neuer Job. Zufriedenheit will sich nicht so richtig einstellen. Trotz der Änderungen im Außen bleibt Innen alles gleich. Es ist, als würde ich ein Haus neu anstreichen, aber die Einrichtung beibehalten. Und dann denke ich: „Jetzt wird mir das Haus viel besser gefallen.“ Aber weil ich mich die meiste Zeit im Inneren des Hauses aufhalte, spüre ich die Veränderung nicht, bin enttäuscht und gehe. Dabei will ich nicht gehen. Ich will ankommen. Wäre es also nicht besser, sich Zeit zu nehmen, das Haus genau anzuschauen, kleine Anpassungen vorzunehmen und zu warte was passiert? Am Ende reicht vielleicht ein neues Bild überm Bett. 

Ich komme zum Schluss:

Egal ob Haus oder Zug, irgendwie tut Stillstand gut. Jetzt muss ich das noch meinem Kopf verklickern, der Abwechslung sucht und Stillstand verflucht, in einer Welt, die alle Möglichkeiten offenhält.

Damn.

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